Bindung prägt Verhalten
Jedes Kind bindet sich an seine wichtigsten Bezugspersonen, ganz egal ob diese gut oder schlecht mit ihm umgehen.
Allerdings ist die Qualität dieser Bindung, also wie sich das Kind mit der jeweiligen Bindungsperson verhält und fühlt, weichenstellend für die weitere Entwicklung. Und zwar nicht nur für die emotionale Entwicklung, sondern auch für die Fähigkeit die Umwelt zu erkunden und letztlich selbstständig und unabhängig zu werden.
Bindung entsteht durch spezifisches Interaktionsverhalten, also wie Mama und Papa mit dem Kind kommunizieren, wie sie auf das Kind reagieren, wie viel Raum sie ihm lassen, usw.
Wie das spezifische Verhalten, abhängig vom Bindungsstil, aussieht, erläutere ich nachstehend. Alle Kinder zeigen es ab +/- 11 Monaten.
Wenn man sicher gebundene Kinder mit ihren Bezugspersonen beobachtet, sieht man eine ausgewogene Balance zwischen Bindungsverhalten (der Bezugsperson nahe sein wollen) und Explorationsverhalten (alleine die Umwelt erkunden wollen). Wenn das Kind mit der Mutter zB zum ersten Mal in einer neuen Umgebung ist, wird es irgendwann den Drang verspüren, neugierig den Raum zu erkunden. Auch wenn es manchmal Blicke zur Mutter wirft und sich versichert, ob diese noch da ist, kann es sich auf sein Spiel konzentrieren. Verunsichert das Kind etwas in der Umgebung, wird es schnell die Nähe der Mutter suchen, um Sicherheit zurückzuerlangen. Sobald es sich beruhigt hat, überwiegt wieder die Neugier und es kehrt zur Erkundung des Raumes/Spielzeugs zurück. Ein weiteres Merkmal ist, dass diese Kinder ihre negativen Gefühle der Bezugsperson gegenüber deutlich zeigen, sich aber auch wieder schnell von dieser beruhigen lassen. Geht die Mutter zB kurz aus dem Raum, wird das Kind zwar alarmiert sein und weinen, aber wenn diese zurückkommt, sucht es sofort weinend ihre Nähe und ist auch nicht all zu lange beleidigt. Der Bruch hat also kein Nachspiel.
Wenn man ambivalente Kinder beobachtet, wird man feststellen, dass diese – buchstäblich – an der anwesenden Bezugsperson kleben! Hier sind Bindungs- und Explorationsverhalten nicht in Balance, sondern das Bindungsverhalten des Kindes bestimmt die Beziehung. Es sitzt zB ständig am Schoß der Mutter, oder sucht Körperkontakt, und weicht ihr kaum von der Seite. In einer neuen und interessanten Umgebung, ist es so damit beschäftigt die Aufmerksamkeit der Mutter zu erhalten, dass es kaum die Gegend erkunden kann. Macht die Mutter Anstalten den Raum ohne das Kind zu verlassen, reagiert es extrem aufgebracht und gestresst und hat Schwierigkeiten sich wieder zu beruhigen. Geht die Mutter tatsächlich ohne das Kind aus dem Raum, zeigt es bei deren Rückkehr das – diesen Bindungsstil bezeichnende – ambivalente Verhalten. Es sucht die Nähe und den Trost durch Körperkontakt, und wehrt sich gleichzeitig dagegen. Es biegt sich zB auf dem Arm der Mutter durch oder haut auf die Mutter hin, während es eigentlich den Trost und die Nähe möchte. Und diese Situation wirkt nach, das Kind zeigt sich, auch nachdem es sich beruhigt hat, noch sehr sensibel und fängt aus objektiv nichtigen Gründen wieder zu weinen an. Jeder Bruch der Beziehung wirkt also deutlich nach.
Kinder die einen vermeidenden Bindungsstil haben, zeigen sich besonders selbstständig und auffallend wenig auf die Bezugspersonen angewiesen. Wie bei den ambivalenten Kindern, sind Bindungs- und Explorationsverhalten nicht in Balance. Im Gegensatz zu den vorher genannten, suchen sie aber kaum die Nähe der Bezugsperson oder vermeiden diese sogar aktiv, also ist das Bindungsverhalten unterdurchschnittlich ausgeprägt und sie erkunden lieber den Raum, auch wenn sie in einer neuen Umgebung sind. Allerdings wirken sie dabei nicht so frei wie sicher gebundene Kinder, sondern erscheinen eher angespannt. Ein sehr charakteristisches Merkmal dieser Kinder ist ihr Rückzug bei Kummer. Sie leiden eher still, da sie ihre Gefühle unterdrücken oder zumindest verbergen. Sollte die Mutter in einer fremden Umgebung den Raum verlassen, tun sie tendenziell so, als ob nichts wäre. Wenn diese zurückkommt, wird sie eher ignoriert. Der Bruch der Beziehung wird also seitens des Kindes mit Nicht-Achtung „bestraft“, negative Gefühle werden verborgen.
Der desorganisierte Bindungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass das Kind keine „geordneten“ Verhaltensweisen zeigt, sondern gewisse Eigenheiten auftauchen. In der Theorie heißt es, dies ist auf Vernachlässigung oder Misshandlung seitens der Bezugsperson zurückzuführen, was ich persönlich kritisch sehe, da gewisse Verhaltensweisen auch im Kontext von „erdrückender Liebe“ zu beobachten sind. Allerdings ist für die Entwicklung eines Kind die „erdrückende Liebe“ seitens der Bezugspersonen, die es einengen und unfrei machen, auch nicht gerade optimal, wenn natürlich auch nicht in die Tragik von Vernachlässigung und Misshandlung einzureihen. Zu den beobachteten Verhaltensweisen gehören das Erstarren/Einfrieren des Kindes, unvollständige Bewegungsmuster und bizarre, widersprüchliche, Verhaltensweisen. Kinder bauen in jedem Fall eine Bindung zu ihren Bezugspersonen auf, auch wenn diese nicht optimal versorgen oder sogar misshandeln. Das Kind hat keine Alternativen, es muss sich an diese Personen binden. Wenn nun das Bindungssystem aktiviert ist (weil sich das Kind zB durch eine neue Umgebung unsicher oder verängstigt fühlt), suchen auch diese Kinder Sicherheit bei den Bezugspersonen. Da diese aber gleichzeitig auf irgendeiner Ebene bedrohlich sind, zeigen die Kinder die oben beschriebenen Verhaltensweisen.
Falls du den Eindruck hast, mit deinem Kind ein Verhaltensmuster entwickelt zu haben, welches euch beiden nicht gut tut, melde dich bitte bei mir. Gemeinsam finden wir einen Weg heraus!
Was mir an dieser Stelle ganz wichtig ist:
Der Bindungsstil soll nicht wertend verstanden werden! Es geht hier keinesfalls um eine Einteilung in gute oder schlechte Eltern!
Auch unsicher gebundene Kinder haben Eltern, die ihr Kind von Herzen lieben, und es so fürsorglich versorgen, wie es eben gerade möglich ist.
Es ist nicht fehlende Liebe oder Fürsorge, die diese Bindungsstile prägt, sondern es kommen oft ganz andere Parameter ins Spiel, die – wenn man bewusst hinschaut und sie aufdeckt – durchaus beeinflussbar sind!
Wenn du in einem Elternhaus aufgewachsen bist, wo Emotionen nicht viel Platz hatten, dann hast du unter Umständen eine Tendenz, auch deinem Kind gegenüber weniger emotional zu sein (weil du generell eher weniger Emotionen zeigst) und das kann dazu führen, dass auch dein Kind distanzierter ist, und einen vermeidenden Bindungsstil zeigt. Oder es zeigt – als Gegenmuster – einen ambivalenten Bindungsstil, weil es so versucht dich mit besonders viel Emotion aus der Distanz zu holen. Es „übertreibt“ also, damit es von dir als selbstkontrollierte Person wahrscheinlicher eine Reaktion bekommt.
Wenn du eher von der „zerstreuten“ Art bist, also öfter mal was übersiehst/überhörst, leicht abzulenken bist oder öfter mal etwas vergisst, kann es sein, dass du auch dein Kind öfter überhörst, und es, während du mit etwas beschäftigt bist, schon 3x leise Mama gesagt hat, bevor es zum „Mamaaaa“-Brüllen anfängt und sich dann lautstark ärgert, weil du es überhört hast. Oder wenn dein Kind gemerkt hat: „Immer wenn ich ganz laut bin, dann hab ich die ungeteilte Aufmerksamkeit von Mama! Sonst teilt sie diese zwischen den Geschwistern auf, aber wenn ich ganz viel Drama mache, dann krieg ich endlich mal 100%!“. Wenn sich das in vielen verschiedenen Situationen und Varianten wiederholt, lernt das Kind: Wenn ich „übertreibe“, ist die Mama verlässlich da. Es „übertreibt“ also, damit von einer eher abgelenkten, oder mit sich selbst beschäftigten, Bezugsperson eine Reaktion kommt. Und schon bewegen sich die beiden Richtung ambivalentes Bindungsverhalten.