Entwicklung des Bindungsverhaltens
Beginnt Bindung bereits in der Schwangerschaft?
Ich würde behaupten, ja! Denn bereits in der Schwangerschaft bildet sich idealerweise eine Bindungsbeziehung der werdenden Mutter zu dem Ungeborenen. Bereits in der Schwangerschaft empfehle ich, sich bewusst Zeit für Ihr Baby zu nehmen, auch wenn es noch nicht geboren ist. Vielleicht machst du sogar ein tägliches Ritual daraus, indem du dich, wenn das Baby im Bauch wach ist, bewusst in Ruhe hinsetzt, den Bauch streichelst, vielleicht sogar mit dem Baby redest, und so auf die Bewegungen antwortest. Das entschleunigt zudem den mitunter hektischen Alltag und bringt Momente der Ruhe, die Mutter und Kind gut tun.
Da das Kind durch Plazenta und Nabelschnur mit dem hormonellen System der Mutter verbunden ist, kommt es zB auch zu einer anteiligen Übertragung der mütterlichen Stresshormone (Cortisol) auf den kindlichen Organismus. Es gibt zahlreiche Studien¹ dazu, dass ungeborene Babys, deren Mütter durch verschiedene Umstände (wie massive Beziehungsprobleme, Sorgen, Ängste, Depression oder traumatische Erlebnisse ) einen erhöhten Cortisolspiegel aufweisen, selbst mit einem erhöhten Cortisolspiegel zur Welt kommen. Diese Kinder „erben“ also mitunter ein stressreaktiveres Hormonsystem. Ob sie in Folge sogar anfälliger für körperliche und psychische Krankheiten sind, ist nicht ganz klar, da hier die Studienlage kontrovers ist².
Das bedeutet nun natürlich nicht, dass „normaler“ Stress sich negativ auf die Entwicklung des Kindes auswirken muss!
Aber es schadet sicher nicht, nach hektischen Momenten oder trubeligen Tagen, bewusst zur Ruhe zu kommen und so die Ausschüttung von Stresshormonen wieder nach unten zu regulieren. Ein positiver Nebeneffekt dieser Momente ist eine gute Bindung an das Ungeborene und diese kann als Schutzfaktor dienen, sollte der gemeinsame Start und Bindungsaufbau durch zB Frühgeburt etwas erschwert werden.
Sollten dich Sorgen oder Ängste plagen, die deine Schwangerschaft trüben, oder du dich schwer tust zur Ruhe zu kommen, unterstütze ich dich gern.
In den ersten 3 Monaten ist es dem Baby noch (fast) egal wer es streichelt, schaukelt und versorgt, aber bereits direkt nach der Geburt hat es eine Präferenz für die Stimme und den Geruch der Mutter. Es blickt gern in menschliche Gesichter, und lächelt ab dem Alter von ca. 6 Wochen im Grunde in jedes Gesicht, das im freundlich begegnet.
Auch wenn in dieser Phase die Bindung noch nicht ausgeprägt ist, reagiert das Kind bald verstärkt auf die Hauptbezugspersonen und bekommt bereits ein erstes Gespür dafür, wie die Kommunikation und Interaktion mit den Eltern funktioniert. Natürlich handelt es sich hierbei noch nicht um bewusstes Verhalten des Kindes, sondern um Verhaltensreaktionen auf die – durchaus auch unbewussten – Signale der Eltern.
In diesem Alter fängt das Baby schon an, zwischen Personen zu differenzieren. Sind diese vertraut, werden sie länger angesehen, mehr angelächelt und das Baby vokalisiert mehr. Aber auch komplett fremde Personen, die gut mit dem Kind kommunizieren und interagieren, können diese Reaktionen herauslocken. Das Baby hat einfach Spaß an der Interaktion und bemüht sich um diese.
In diesem Alter gibt es üblicherweise noch keine deutlich negative Reaktion des Kindes auf die kurzfristige Trennung von der Hauptbezugsperson. Wenn jemand da ist, der es gut versorgt und sich mit ihm beschäftigt, ist die Abwesenheit der Hauptbezugsperson in Ordnung für das Baby. Es zeigt auch noch keine Angst oder Scheu vor fremden Personen.
Jetzt wird die Bindung langsam spezifischer.
Das Baby bevorzugt die Hauptbezugspersonen für die Interaktion (viel lächeln und vokalisieren), es sucht den Blickkontakt mit den Eltern, wenn es von jemand anderem gehalten wird, oder verbirgt sein Gesicht bei einem Elternteil, wenn ihm etwas nicht so ganz geheuer ist. Auch schaut es im Zweifel auf die Eltern und deren Reaktion.
An dieser Stelle fällt mir eine sehr eindrückliche Szene mit einer meiner Töchter ein, als diese ca. 8 Monate alt waren. Wir hatten ein Problem mit der Waschmaschine und ein Handwerker war da. Als ich meine wach gewordene Tochter holte, und mit ihr am Arm in den Keller zum Handwerker zurückging, blickte sie sofort in mein Gesicht und schaute nach, wie ich auf den Fremden im Keller reagiere. Als ich sie anlächelte und ihr sagte, wer das sei, beobachte sie ihn fortan ohne Scheu und mit großem Interesse. Fand ich sehr spannend!
Wenn das Kind dann anfängt zu krabbeln, benutzt es die Hauptbezugspersonen als Ausgangsbasis für seine Erkundungen. Es bewegt sich weg, kommt wieder retour, bewegt sich wieder weg. Ist es beunruhigt, flüchtet es sich ebenfalls in die Arme der Bezugsperson. Ist das Kind müde, hungrig oder krank, klammert es sich an. Ab diesem Alter gibt es deutlichen Trennungsprotest, dh das Kind fängt zu Weinen/Schreien an, wenn die Bezugsperson – vor allem in fremder Umgebung – den Raum verlässt. Es folgt der Bezugsperson nach, oder versucht es zumindest, um die Distanz zu verringern. Und es klammert sich an die Bezugsperson wenn fremde Personen anwesend sind oder fängt bei deren Kontaktaufnahmeversuchen mitunter richtig zum Brüllen an (dieses Verhalten ist verbreitet unter „fremdeln“ bekannt).
Jetzt lässt sich das Kind nicht mehr von jedem beruhigen, sondern hat eindeutig Präferenzen zu den Hauptbezugspersonen.
Falls du in dieser durchaus anstrengenden Phase des Elternseins Fragen zur Bindungsbeziehung hast, oder unsicher bist, wie du mit dem Verhalten deines Kindes umgehen sollst (oder es vielleicht auch gar nicht verstehst!), bin ich gerne für dich da!
Ab ca. 18 Monaten fängt das, manchmal sehr anstrengende, Bindungsverhalten an etwas abzuklingen. Es ist natürlich immer noch da (und bleibt in Fragmenten ohnehin über die Lebensspanne bestehen), aber das Kind kann sich, wenn eine sichere Bindung aufgebaut wurde, mit der Zeit immer besser lösen und lässt sich dann auch irgendwann wieder von anderen – zumindest etwas vertrauten – Personen beruhigen und versorgen.
Wenn dem Kind die zeitweise Lösung nicht gelingt, es sehr klammernd ist, oder wenn es offensichtlich sehr gleichgültig auf Trennungen von den Hauptbezugspersonen reagiert, sollte man als Eltern hellhörig werden. Nicht weil man etwas falsch gemacht hat, sondern weil sich zwischen Eltern und Kind ein Verhaltensmuster etabliert hat, welches für die weitere emotionale Entwicklung des Kindes problematisch sein kann. Nicht muss (!), aber kann. Warum, erläutere ich hier.
Gerne unterstütze ich dich dabei, dieses Verhaltensmuster zu verstehen und zu durchbrechen.
Je früher man diesen Kreislauf durchbricht, desto einfacher und besser für alle Beteiligten.
Quellen:
1)
Cao-Lei, L., Laplante, D. P., & King, S. (2016). Prenatal maternal stress and epigenetics: review of the human research. Current Molecular Biology Reports, 2(1), 16-25.
2)
Graignic-Philippe, R., Dayan, J., Chokron, S., Jacquet, A. Y., & Tordjman, S. (2014). Effects of prenatal stress on fetal and child development: a critical literature review. Neuroscience & biobehavioral reviews, 43, 137-162.
Zijlmans, M. A., Riksen-Walraven, J. M., & de Weerth, C. (2015). Associations between maternal prenatal cortisol concentrations and child outcomes: A systematic review. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 53, 1-24.